PTBS: Warum nicht jeder nach einem Trauma eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickelt

Voelkner & Radßat GbR • 22. April 2025

In dieser Folge sprechen wir über die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und gehen der Frage nach, warum manche Menschen nach einem traumatischen Ereignis eine PTBS entwickeln, während andere nicht betroffen sind. Wir erklären, was ein Trauma ist und was während und nach einer traumatischen Situation im menschlichen Körper und Gehirn passiert. Erfahre mehr über die psychologischen und neurologischen Reaktionen auf Trauma und die Faktoren, die beeinflussen, ob eine Person eine PTBS entwickelt. Die Inhalte dieser Folge haben wir für dich im folgenden Text zusammengefasst. Für mehr Details, hör gerne die Podcast-Folge.

Was ist eine traumatische Situation/ Trauma?
Eine traumatische Situation ist ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, das bei nahezu jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde (Dilling & Freyberger, 2019). Das Erleben einer traumatischen Situation kann eine Traumafolgestörung wie eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zur Folge haben. Dennoch sind die Begriffe „Trauma“ und „Traumafolgestörung“ bzw. „PTBS“ voneinander abgrenzbare Begriffe. Das heißt: Eine Person, die eine traumatische Situation erlebt hat, muss nicht an einer PTBS leiden.

Aktivierung der Stresssysteme beim Erleben einer traumatischen Situation
Wenn eine gefährliche Situation wahrgenommen wird, leiten die Sinnesorgane (z.B. Auge, Ohren) die sensorischen Informationen zunächst an die Hirnstruktur Thalamus weiter. Vom Thalamus wird die Information direkt an die Hirnstruktur Amygdala geleitet. Die Amygdala reagiert sofort, das Gehirn springt in den „Notbetrieb“ und löst eine Stressreaktion aus. Die Aktivierung des langsamen und schnellen Stresssystems bewirken u.a. die Ausschüttung der Hormone Adrenalin und Cortisol (Pinel & Pauli, 2012), damit sich der Körper an die herausfordernde Situation anpassen kann (Zalpour, 2010). Aufgrund der schnellen Wirkung des Hormons Adrenalin wird dies als schneller Stressweg bezeichnet. Das Hormon Cortisol erreicht jedoch seine höchste Konzentration erst nach 20 bis 30 Minuten (Ramsay & Lewis, 2003) und wird deshalb als langsamer Stressweg bezeichnet.

Folgen der Stressreaktion
Die massive Stressreaktion während des Erlebens einer traumatischen Situation führt zu einer starken Aktivierung der Amygdala und zu einer Hemmung der Aktivierung der Hirnstruktur Hippocampus (Roozendaal & McGaugh, 2011). Die Amygdala gehört zum heißen Gedächtnis und der Hippocampus zum kalten Gedächtnis. Zusammen bilden sie das Furchtnetzwerk. Das heiße Gedächtnis speichert Informationen zu Emotionen und das kalte Gedächtnis speichert Kontextinformationen wie Zeitinformationen. Durch die massive Stressreaktion werden Informationen dekontextualisiert abgespeichert. Die Zeitinformation fehlt. Die Person hat nur fragmentierte (zersplitterte) Erinnerungen an die traumatische Situation: Emotionen sind meist abgespeichert, aber alle anderen Kontextinformationen fehlen. Dies nennt man Trauma-Gedächtnis.

Entstehung einer PTBS
Das Kognitive Modell (Ehlers & Clark, 2000) sagt, dass das Trauma-Gedächtnis (Vgl. Kapitel 2.1) zusammen mit einer dysfunktionalen Interpretation des Traumas (z.B. sich selbst Schuld zuschreiben) und seiner Konsequenzen zu einem Eindruck der weiterbestehenden Bedrohung und damit zusammenhängenden Sicherheitsverhalten führen kann. Liegen ungünstige Vorbedingungen (Risikofaktoren) vor und wird die erlebte traumatische Situation nicht nachbearbeitet, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, eine Traumafolgestörung (z.B. Posttraumatische Belastungsstörung; PTBS) zu entwickeln. Die Nachbearbeitung (Erlebnis-Nachbesprechung) sorgt dafür, dass fehlende Kontextinformationen in das Trauma-Gedächtnis integriert werden.

Risikofaktoren
Mögliche Risikofaktoren sind: weibliches Geschlecht, geringes Bildungsniveau, sozioökonomischer Status, frühere Traumata, vorhandene psychische Störungen (Maercker, 2013).

Building-Block-Effekt
Der Building Block Effect sagt, dass mit zunehmender Anzahl an erlebten Traumatypen die Wahrscheinlichkeit an einer PTBS zu erkranken steigt (Neuner et al., 2004).

Literatur
Cooper, J. E. (2012). Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen. https://sfbs.tu-dortmund.de/items/d31baeb4-72c4-42de-bb1f-053942cbbf78
Ehlers, A., & Clark, D. M. (2000). A cognitive model of posttraumatic stress disorder. Behaviour research and therapy, 38(4), 319–345.
Maercker, A. (Hrsg.). (2013). Posttraumatische Belastungsstörungen. Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-642-35068-9
Neuner, F., Schauer, M., Karunakara, U., Klaschik, C., Robert, C., & Elbert, T. (2004). Psychological trauma and evidence for enhanced vulnerability for posttraumatic stress disorder through previous trauma among West Nile refugees. BMC Psychiatry, 4(1), 34. https://doi.org/10.1186/1471-244X-4-34
Pinel, J., & Pauli, P. (2012). Biopsychologie (8. Aufl.). Pearson.
Reactivity and Regulation in Cortisol and Behavioral Responses to Stress—Ramsay—2003—Child Development—Wiley Online Library. (o. J.). Abgerufen 26. August 2024, von https://srcd.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1467-8624.7402009
Roozendaal, B., & McGaugh, J. L. (2011). Memory modulation. Behavioral Neuroscience, 125(6), 797–824. https://doi.org/10.1037/a0026187
Zalpur, C. (2010). Anatomie Physiologie. Urban & Fisher.

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