Behandlung chronischer Depression mit CBASP
04fa34a0-c5ef-4286-9d46-fb77bafe1b38 • 16. Januar 2025
Chronische Depression behandeln mit CBASP
Was sind Chronische Depression?
Chronische Depressionen haben eine Lebenszeitprävalenz von 4,9% (Murphy et al., 2012). Es handelt sich um eine Form von Depression, die sich durch anhaltende depressive Symptome über einen Zeitraum von mindestens 2 Jahren auszeichnet, ohne dass es innerhalb dieses Zeitraumes eine durchgehende Phase ohne Symptome gegeben hat.
Es wird bei der chronischen Depression unterschieden zwischen einem frühen Beginn (vor dem 21. Lebensjahr) und einem späten Beginn (nach dem 21. Lebensjahr). Vor allem bei der Depression mit frühem Beginn war die Kindheit- und Jugend der Patient:innen durch die prägenden Bezugspersonen (z.B. Eltern) häufig durch Kindesmissbrauch geprägt, wobei emotionale Vernachlässigung und emotionaler Missbrauch dabei die größte Rolle spielt (Klein & Santiago, 2003). Charakteristisch für die Depression mit spätem Beginn sind eher häufige Verlusterlebnisse und gesundheitliche Probleme.
Was ist die Wahrnehmungsentkopplung?
Durch die erfahrenen massiven (psychischen) Verletzungen in der Biografie (Vgl. 1.0) entwickelt sich unbewusst ein psychischer „Schutzmechanismus“, der die betroffene Person vor weiteren Verletzungen im Laufe des Lebens schützen soll. Es bildet sich eine „Mauer“ zwischen der betroffenen Person und der Umwelt. Damit ist gemeint, dass Erfahrungen aus der Gegenwart wenig Einfluss auf das Denken, Fühlen und Handeln der betroffenen Person haben und nennt sich Wahrnehmungsentkopplung (Klein & Belz, 2023). Das Erleben und die Wahrnehmung der betroffenen Person ist getrennt (Mauer) von dem, was in der Umwelt geschieht. Die schmerzhaften Erfahrungen aus der Vergangenheit haben das Denken und Fühlen der betroffenen Person geprägt, sodass diese nun generell davon ausgeht, dass alle Menschen ihnen nicht wohlgesonnen sind. Die Folge ist, dass die chronisch-depressive Person in interaktionellen Situationen grundsätzlich feindselig-unterwürfig auftritt und soziale Kontakte vermeiden. Das Fertigkeitsdefizit in interpersonellen Situationen führt dazu, dass Menschen, die der chronisch depressiven Person eigentlich wohlgesonnen sind, was die chronisch depressive Person aufgrund der Wahrnehmungsentkopplung nicht wahrnimmt, sich zunehmend abwenden. Es resultiert daraus, dass die chronisch depressive Person erneut die Erfahrung macht, dass andere Menschen sich ihnen abwenden. Korrigierende Beziehungserfahrungen sind nicht möglich. Es entsteht ein Teufelskreislauf, der das Störungsbild aufrechterhält.
CBASP – wofür steht das?
CBASP steht für "Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy" (Kognitives Verhaltensanalyse-System der Psychotherapie) und ist eine Form der Psychotherapie, die speziell für die Behandlung chronischer Depressionen entwickelt wurde. Das Ziel von CBASP ist die Reduktion der Wahrnehmungsentkopplung und die Verbesserung interpersoneller Defizite.
Wie läuft die CBASP ab?
Die Psychotherapie chronisch depressiver Patient:innen gliedert sich in drei Phasen (McCullough, 2000):
In der Einführungsphase wird ein Erstgespräch geführt, eine Liste prägender Bezugspersonen erstellt und folgend Übertragungshypothesen aufgestellt. In der Hauptphase wird der Kiesler-Kreis erläutert, Situationsanalysen durchgeführt, Interpersonelle Diskriminationsübungen durchgeführt und der Therapeut bzw. die Therapeutin nutzt die Kontingente persönliche Reaktion. In der Abschlussphase wird Rückfallprophylaxe betrieben und ein Abschlussgespräch geführt.
Liste prägender Bezugspersonen und Übertragungshypothesen
Alle Menschen übertragen Beziehungserfahrungen aus der Vergangenheit auf neue Personen in der Gegenwart. Chronisch depressive Personen haben überwiegend negative Beziehungserfahrungen gemacht und neigen dazu, neue Personen, wie auch den Therapeuten bzw. die Therapeutin, mit Bezugspersonen aus der Vergangenheit gleichzusetzten. Die Patient:innen haben in der Gegenwart die Erwartung, dass neue Personen sie, so wie die früheren Bezugspersonen, ebenfalls (psychisch) verletzten werden (zurückweist, bestraft, missbraucht, vernachlässigt oder verletzt). Das Ziel der Liste der prägenden Bezugspersonen ist es, Informationen über die Beziehungsgeschichte zu erhalten und herauszufinden, welche „Stolpersteine“ die Therapie gefährden könnten. „Stolpersteine“ sind wiederkehrende Probleme in interpersonellen Situationen im Leben des Patienten bzw. der Patientin. Nachdem der Patient bzw. die Patientin die wichtigsten vier prägenden Bezugspersonen aufgeführt hat, wird die Prägung, die die Person bei dem Patienten bzw. der Patientin hinterlassen hat, dazugeschrieben. Eine Prägung könnte sein: „Ich darf nicht keine Fehler machen, sonst werde ich betraft, daher mache ich keine schwierigen Aufgaben.“
Als nächstes überlegt der Therapeut bzw. die Therapeutin passende Übertragungshypothesen zu den Prägungen. Die Übertragungshypothese stellt Befürchtungen des Patienten bzw. der Patientin in der Therapie dar. Die aufgestellten Hypothesen werden mit dem Patienten bzw. der Patientin besprochen und ggf. angepasst. Eine Übertragungshypothese könnte lauten: „Wenn ich in der Therapie einen Fehler mache, dann wird mich mein Therapeut bestrafen!“
Die Übertragungshypothesen werden in der Therapie genutzt und immer wieder aufgegriffen.
Der Kiesler-Kreis
Es handelt sich um ein Interpersonelles Kreismodell zur Einschätzung des Stimulus-Charakters eines Menschen bzw. von zwei Partnern (Kiesler, 1982). Ein Stimulus-Charakter ist die Art- und Weise, wie sich eine Person gegenüber einer anderen in einer interpersonellen Situation gibt und auftritt. Nach dem Kiesler-Kreis rufen die Stimulus-Charaktere einen komplementären Stimulus-Charakter bei dem Gesprächspartner bzw. Gesprächspartnerin hervor. Verhält sich die chronisch-depressive Person feindselig-unterwürfig, wird sich der Gesprächspartner bzw. die Gesprächspartnerin sehr wahrscheinlich feindselig-dominat verhalten. Der Kielser-Kreis ist Bestandteil der Situationsanalysen.
Die Situationsanalyse
Die Situationsanalyse hat großen Anteil am Behandlungserfolg und wirkt rückfallpräventiv. Bei der Situationsanalyse beschreibt der Patient bzw. die Patientin eine einzelne erlebte interpersonelle Situation aus der Beobachterperspektive. Die Situation wird interpretiert, das Verhalten des Patienten bzw. der Patientin untersucht und der Ausgang der Situation beschrieben. Außerdem wird der gewünschte Ausgang der Situation durch den Patienten bzw. der Patientin erhoben. Folgend wird die Situation durch den Patienten bzw. der Patientin im Rollenspiel nachgespielt. Der Patient bzw. die Patientin kann mehrfach ausprobieren, wie sie sich hätte verhalten können, um festzustellen, welche Gegenreaktion durch den Therapeuten bzw. Therapeutin hervorgerufen wird. So lernen die Patient:innen, dass ein unterwürfig-feinseliges Verhalten eine destruktive Verhaltensreaktion hervorruft und dass ein freundliches Verhalten eine konstruktive Verhaltensreaktion hervorruft. Die Patient:innen lernen, dass sie durch ihr eigenes Verhalten einen Einfluss auf ihre Umwelt haben und dieser nicht hilflose ausgeliefert sind, zudem können die Patient:innen ihre Wahrnehmung verbessern und Wahrnehmungsverzerrungen lösen (Wahrnehmungsentkopplung). Nutzen die Patient:innen das in den Situationsanalysen gelernte in tatsächlichen interpersonellen Situationen, können die Patient:innen die korrigierende Beziehungserfahrung machen, dass andere Menschen sich auch wohlgesonnen ihnen gegenüber verhalten können und dass sie selber einen Einfluss daraus haben. Der Teufelsreis (Vgl. 2.0) der chronischen Depression wird unterbrochen.
Interpersonelle Diskriminationsübung
Patient:innen sollen Unterschiede zwischen der Reaktion ihrer prägenden Bezugspersonen und der Reaktion des Therapeuten bzw. der Therapeutin auf ihr Verhalten erkennen, um zu verstehen, dass aktuelle Mitmenschen anders reagieren und dass heute eine andere Realität besteht. Dadurch werden die Übertragungshypothesen in der Therapie durch den Kontakt zum Therapeuten bzw. der Therapeutin widerlegt.
Kontingente persönliche Reaktion
Der Therapeut bzw. die Therapeutin äußert, welche (negativen) Emotionen durch eine Äußerung des Patienten bzw. der Patientin hervorgerufen wurden. Die Patient:innen sollen erkennen, wie ihre Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen dazu beitragen können, zwischenmenschliche Probleme zu verursachen oder zu verschärfen. Beispielweise könnte ein Patient äußern: „Die Therapie bringt mir hier sowieso nichts, ich glaube, ich breche ab!“ Der Therapeut könnte folgendermaßen reagieren: „Dass Sie sowas sagen, macht mich sehr traurig und verletzt mich, da ich mit ihnen jetzt schon sehr lange zusammenarbeite und sie wirklich lieb gewonnen habe.“.
Literaturverzeichnis
Jan Philipp Klein und Martina Belz. Psychotherapie chronischer Depression. 2. Aufl. Hogrefe, o. J.
Klein und Belz. Psychotherapie chronischer Depression: Praxisleitfaden CBASP. 2. Aufl. Hogrefe, 2023.
Klein, Daniel N., und Neil J. Santiago. „Dysthymia and Chronic Depression: Introduction, Classification, Risk Factors, and Course“. Journal of Clinical Psychology 59, Nr. 8 (August 2003): 807–16. https://doi.org/10.1002/jclp.10174.
McCollough, J. P. (2000). Treatment for chronic depression: Cognitive behavioral analysis system of psychotherapy. New York: Guildford.
Murphy, Jenifer A., und Gerard J. Byrne. „Prevalence and correlates of the proposed DSM-5 diagnosis of Chronic Depressive Disorder“.
Journal of Affective Disorders 139, Nr. 2 (1. Juli 2012): 172–80. https://doi.org/10.1016/j.jad.2012.01.033.
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